Zeitenwenden im eigenen Leben gehen tief.
Wir sollten die Übergänge in unserem Leben nicht länger tabuisieren, sondern betrachten, verstehen und würdigen.
Denn dann zeigen sie sich in ihrem wahren Wesen: als Ruf nach Echtheit und Sinn, nach einem neuen inneren Halt.
Als Freie Rednerin gestalte ich Lebensübergänge. Sie bedeuten immer, dass sich die Rollen verändern, die ein Mensch in seinem Leben trägt oder annimmt.
Rollen sind eine Aufgabe oder Position, die im Außen eng mit unserem gesellschaftlichen und familiären System verwoben sind. Und so bin ich vielleicht Mutter, Tochter, Enkelin, Partnerin, Angestellte, Chefin, Hundemama oder Solo-Selbständige (genauso auch aus männlicher Perspektive, Ehemann und Vater, Geschäftsführer und Fußballer und vieles mehr)
Die Veränderung der Rollen bringt immer Herausforderungen mit sich – manche erwarten wir freudig und begrüßen sie sehr im Leben.
Doch am schwierigsten wird es meist, wenn wir eine Rolle aufgeben müssen – dazu gezwungen sind, und das Leben uns diese Rolle vielleicht sogar entreißt. Durch den Tod, doch bei weitem nicht nur. Es kann auch eine Kündigung sein oder eine Trennung. Und auch das ist ambivalent – manchmal mögen wir erleichtert sein. Doch sehr, sehr oft bedeutet das Aufgeben oder Wegfallen einer Rolle tiefste Trauer.
Das ist nicht banal. Sondern zutiefst menschlich – und existenziell.
Mit unseren Aufgaben verbinden wir oft unseren Sinn im Leben. Viele Menschen verlieren sich, wenn sie eine zentrale Position verlieren: als Mutter, als Partner, als Berufstätiger oder als „Pfeiler“ in einem System. Menschen, die in der Mitte ihres Lebens, beim Verlust ihrer Arbeit, beim Eintritt in die Rente oder beim Auszug der Kinder in ein so tiefes Loch rutschen, dass sie da zeitlebens nicht mehr herausfinden. Denn die Rollen geben Halt, Struktur und sind wie Leitplanken. Sie schenken uns Anerkennung und eine Resonanzfläche, in der wir uns gesehen, vielleicht auch verstanden fühlen.
Bei ihrem Verlust geraten wir ganz leicht in eine handfeste Lebenskrise. Und manche von uns – tauchen nie wieder auf. Nach außen zeigt es sich dann oft als eine schwere Depression, als Suchterkrankung oder als tiefe, chronische Unzufriedenheit, die alle im System trifft.
Das ist kein individuelles Versagen und wird durch eine gesellschaftliche Tabuisierung befeuert. Wir sprechen zu wenig über das, wenn das „Was-mache-ich?“ uns nicht mehr tragen kann. Und wenn das „Wer-bin-ich?“ noch keine Antwort kennt.
Es ist auch ein Symptom dafür, dass wir das wahre Leben und unsere Identität in unsere Rollen verlagert haben, statt in unsere eigene Integrität und Würde. Und weil die Mehrheit von uns ähnlich denkt und fühlt, glauben wir, dass der Wegfall einer Rolle unseren Selbstwert beschädigt.
Doch das, was bleibt, wenn ich alle Rollen abstreife, das ist eben nicht – nichts.
Was bleibt, bin ich selbst. Als Mensch, nicht als Rolle. Mit meiner Würde und meinem inneren Wert – auch ohne äußere Bestätigung. Ich als der Mensch, wie er gemeint war, und der von innen heraus in aller Einfachheit sein Leben lebt.
Wir dürfen und müssen um den Verlust unserer Rollen trauern, wütend sein und mit dem Leben hadern. Und ich weiß: Es gibt Übergänge, die sind keine neuen Wege, sondern tiefe Abgründe. Dann braucht es keine schnellen Antworten, sondern Begleitung und einen Raum, in dem alles sein darf.
Doch ich bin fest überzeugt – eine Veränderung der Rollen ist immer auch ein neuer Ruf an uns. Ein Ruf, unseren Sinn im Leben neu zu definieren. Vielleicht sogar dem wahren Sinn unseres Lebens auf die Spur zu kommen, der sich nie allein in Aufgaben definieren kann, sondern tiefer greifen muss.
Vielleicht nicht heute, sofort, gleich, wenn alles akut ist.
Doch auf unserem Weg durchs Leben ganz bestimmt.
Vielleicht müssen wir lernen, dass wir unsere Werte auch auf anderen Wegen leben können. Und dass eine Rolle allein zumindest nicht dauerhaft 80% meines Lebens ausfüllen darf – weil da ein Ungleichgewicht entsteht, das alles ins Wanken bringt, wenn die Aufgabe plötzlich wegfällt. Gleich, ob das eine Karriere ist, der Sport oder ein Partner und Kinder, die aus dem Haus gehen.
Lasst uns darüber sprechen, dass es mehr als okay ist, eine Karriere nicht mehr weiter zu verfolgen.
Dass es Teil eines erfüllten Lebens ist, neu anzufangen, und Brüche im Leben zu erfahren.
Und dass es nicht nur okay ist, sondern lebenswichtig, sich immer wieder selbst neu zu finden.